Konzert-Review: Deez Nuts / Northlane / Chelsea Grin / Obey The Brave, 04.07.2017, Airport Obertraubling

5. Juli 2017 Konzert

Der Abend begann bereits unter schlechten Vorzeichen, da war es noch gar nicht Abend: Um 15:30 fand ich mich zum vereinbarten Interview mit der australischen Hardcore-Band Deez Nuts in Obertraubling ein – ziemlich nervös, denn wann darf man schon mal die eigenen Idole interviewen?

Nach einigem Herumgesitze meinerseits spricht mich ein sichtlich besorgter Roadie an und berichtet Bedenkliches: Joseph „JJ“ Peters, seines Zeichens Frontmann von Deez Nuts und eine Ikone des modernen Hardcore, sei nächtens aus seiner Koje im Tourbus gestürzt und habe nun, mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, ins Uniklinikum gebracht werden müssen – Teilnahme an der abendlichen Show: Völlig unklar!
Nach einem erstaunlich tiefgründigen Interview mit Mattie „Real Bad“, dem Gitarristen der Band, bringt der Roadie schlechte Kunde: Das Klinikum könne JJ nicht gehen lassen, er müsse die Nacht dort verbringen und werde damit die Show ziemlich sicher verpassen. Erste Stimmen werden laut, die fordern, dass Mattie einspringen solle, was dieser mit einem bemüht lapidaren „I don’t know the words!“ quittiert.

Ich verlasse um 17:15 eine Örtlichkeit voll fassungsloser Gesichter und „Fuuuuck!“-schreiender Bandmitglieder. Fast forward, 19:45: Ich erreiche erneut den Airport.
Gerüchte über einen Ausfalls JJs kursieren, ein Großteil des Regensburger Hardcore-Publikums ist allerdings unwissend und guter Dinge, und ich möchte – da die weiteren Entwicklungen unklar sind und es kein Statement seitens der Band gibt – keinesfalls den Hiob markieren.

20:00 – Obey The Brave

Den Party-Starter in einer sich stetig füllenden Location geben Obey The Brave, 2011 gegründet von Alex Erian, Ex-Sänger der legendären Despised Icon. Ihr treibender, moderner Hardcore bringt erste Gliedmaßen in Bewegung: Speziell bei den harten, pointierten Breakdowns der neueren Werke rührt sich bereits ein kleiner Moshpit, wenngleich Erians wiederholte Forderungen nach einem Circle Pit größtenteils unbeantwortet bleiben. Die älteren Hits der Truppe, „Live and Learn“ und „Get Real“, lassen mich und kleinere Teile der Halle bereits erste Gesangseinlagen anstimmen.

21:00 – Chelsea Grin

Es wird schnell klar, dass sich die 2007 in den USA gegründete Deathcore-Formation nicht recht ins Gesamtbild fügen will: Zwischen den metallisch angehauchten „One Life, One Crew“-Truppen auf dieser Tour scheint der durchweg knüppelharte, mal extrem schnelle, mal quälend langsame Sound von Chelsea Grin doch recht deplatziert. Ich sitze, mit Weißbier bewaffnet, auf einer Treppe im Airport und bin von der bemühten Brutalität der Band eher belustigt als beeindruckt: Es ist ein fast einstündiges Downtempo-Massaker jener Art, bei der unklar bleibt, ob nun ein Song zu Ende ist oder lediglich ein Schneckentempo-Breakdown der allerlangsamsten Sorte bevorsteht – das Publikum applaudiert größtenteils an den falschen Stellen. Irgendwo zwischen Deathcore und Slam-Death, untermalt von ätherischen Synthies und dem infernalischen Kreischen von Frontmann Alex Koehler, der zwischen den Songs allenfalls zehn Worte verliert, entfaltet sich der Soundtrack für diesen einen Typen im NASTY-Shirt, der in absolut JEDEM Moshpit Deutschlands, Karatekicks austeilend, anzutreffen ist – br00tal, um es in gepflegtem Szene-Jargon von 2010 zu formulieren. Erstaunlicherweise rührt sich hier dennoch insgesamt mehr als zuvor bei Obey The Brave.

In der folgenden Raucherpause (Ich dampfe aus Höflichkeit mit) wispert man vereinzelt, JJ Peters habe sich beim Sturz Rippen gebrochen, ein Auftritt heute sei ausgeschlossen. Beim Weißbier-Nachkauf an der Bar heißt es, der Australier habe sich „was eingeklemmt“. Ich checke Facebook: Noch immer keine Stellungnahme der Band.

22:00 – Northlane

Die Ränge direkt vor der Bühne sind inzwischen erfreulich gut gefüllt, als die 2009 formierte Progressive Metalcore Kapelle Northlane die Bühne betritt. Ihre technisch extrem versierte, aber gewöhnungsbedürftige Mixtur aus harten, abgehackten Breakdowns und wabernden, melodischen Riffs, gepaart mit dem mal engelsgleich klaren, dann wieder rotzigen Organ von Sänger Marcus Bridge, stößt zu Beginn auf viel Skepsis, bald aber auf frenetischen Jubel. Unweigerlich denke ich: „Architects, nur in jung“, da die Parallelen unverkennbar sind – und das meine ich ausschließlich als Kompliment: Es ist kein Zufall, dass gerade diese Jungs quasi als einzige aus der enormen „Djent“-Schwemme der 2010er Jahre als etablierte Band hervorgegangen sind. Gegen Ende wird dann auch anständig einer abgedjented und Bridge holt stimmlich Erstaunliches aus seinem schmalen Körper. Der Überraschungssieger des Abends steht fest. Ich bereue sehr, vorher nicht mit diesen Jungs vertraut gewesen zu sein.

Noch immer scheinen sowohl vor der Tür als auch in der Halle erstaunlich wenige Menschen von den gravierenden Schwierigkeiten bei Deez Nuts zu wissen, und abgesehen von gerüchteweisen Twitter-Meldungen gibt es auch jetzt noch keine Infos von der Band.

23:00 – Deez Nuts

Ich ahne bereits Schlimmes, als der Haupt-Act des Abends nach gespannter Stille und diversen Soundproblemen (Auch das noch!) die Bühne betritt. Kommentarlos schnappt sich Mattie „Real Bad“ das mittlere Mikrofon und stimmt guttural „Purgatory“ an, den Titeltrack des aktuellen Albums von Deez Nuts – die Gitarre bedient ein mir gänzlich Unbekannter in Schlabbershirt und weißer Baseball-Kappe. Verwirrtes Schweigen begleitet den ersten Song, dann lässt Mattie die Bombe platzen. Gegen enttäuschte und wütende Wortmeldungen schildert er das Martyrium des Joseph Peters: Gebrochene Rippe, angestochene Leber, Gehirnerschütterung, unkooperatives Krankenhauspersonal. Man habe den Auftritt absagen können „wie all die anderen Bands, die ihr so hört“, wolle aber dennoch eine Show liefern – koste es, was es wolle. Abwechselnd wütend und verzweifelt animiert „Real Bad“ das Publikum zum verstärkten lyrischen Mitmachen, wobei sein wiederholtes „Help me!“ weniger wie eine Aufforderung denn wie ein tatsächlicher Hilferuf klingt. Bemitleidenswert heiser bereits nach drei Songs ergeht sich der tätowierte Koloss in einer Mischung aus Animation und nachvollziehbarer Publikumsbeleidigung, denn es wird klar, wie es um den viel zitierten „Hardcore Spirit“ in Regensburg bestellt ist: Etwa die Hälfte der Fans (hust) verlässt schimpfend den Saal. Mattie, der Aushilfs-Gitarrist („Er hat all unsere Songs in 5 Minuten gelernt!“) und der Rest der Band verausgaben sich komplett, stückeln Lyrics zusammen, improvisieren, werfen Mikrofone in die Crowd. Für einen Song – es ist zu diesem Zeitpunkt kaum mehr erkennbar, welcher – darf auch Marcus Bridge von Northlane sein Glück beim Text von Zetteln am Boden Abkreischen versuchen, während die verbliebenen Gäste, zumindest in den ersten Reihen, all ihr textliches Halbwissen in die Waagschale werfen. Nach einer emotionalen Dreiviertelstunde fliehen die Geschundenen geradezu von der Bühne und ich bin tief betrübt, in letzter Zeit nicht mehr Deez Nuts gehört und Zeilen memoriert zu haben.
Es sind heldenhafte Crew-Momente wie diese, die das Herz des Szene-Nostalgikers höherschlagen lassen: Don’t get it twisted, it’s still fucking Hardcore. Schmerzensmann Mattie avanciert beim hoffnungslosen Versuch, den unersetzbaren JJ Peters zu ersetzen, zum tragischen Helden des Abends – die überwiegende Reaktion derer, die sich in dieser Gegend „Hardcore-Fans“ schimpfen, ist dagegen vor allem eines: Real Bad.

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